Rockpalast Archiv

 

Peter Rüchel Interview

Von Jürgen Brück

Aus der Zeitschrift "Rock & Pop Sammlung" Oktober 1997

Teil I der dreiteiligen Rockpalast Story

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Rock'n' Roll Will Never Die !

Live von der LoreleyViele Rockmusik-Fans haben einen guten Teil ihrer musikalischen Sozialisation einer Sendereihe im Fernsehen zu verdanken - dem Rockpalast. Man erwartete mit Spannung die beiden Rocknächte pro Jahr und konnte dort den Beginn so mancher großen Karriere miterleben (U2 sei hier nur als ein Beispiel erwähnt). Auch die wöchentlich ausgestrahlten Konzertaufzeichnungen waren immer wieder ein Anlaß, in die Plattenläden zu pilgern und das erste Material von neu entdeckten Lieblingsbands zu besorgen. Wir möchten in dieser und den nächsten Ausgaben einen Blick zurück werfen und die Rocknächte Revue passieren lassen. Zum Auftakt sprach Jürgen Brück mit Peter Rüchel , dem Mann der ersten Stunde.

Jürgen Brück:

Am Anfang möchte ich ganz zurückgehen, zur Gründungszeit des Rockpalast. Kannst du erzählen, wie das damals gelaufen ist mit dem Rockpalast? Welche Idee lag dem ganzen zugrunde, und wie seid ihr auf das Format gekommen?

Peter Rüchel:

Als ich die Leitung der Redaktion Jugendfernsehen hier beim WDR übernommen habe, entstand die Idee eines entfalteten Jugendprogramms, zu dem als ein Angebot auch eine Rockmusiksendung gehören sollte. Der Gedanke nahm dann konkrete Formen an durch ein Treffen mit Christian Wagner, der hier im Sender erschien und ein sehr ausführliches Konvolut, Rockmusik im Fernsehen betreffend, vorlegte.

Peter RüchelDas war sozusagen die Grundsteinlegung. Im Kern sollte es eine Reihe sein, in der Live-Konzerte dargestellt werden sollten. Das haben wir zunächst ganz klein in einem Studio des WDR angefangen. Dort paßten 80 Zuschauer hinein, man konnte kostenlos kommen. Das, war ein Vorteil und ein Nachteil, weil da sehr viele kamen, die nicht so sehr an Rockmusik, sondern daran interessiert waren, wie eine Fernsehsendung entsteht. Die konnten dann manchmal relativ wenig damit anfangen, was da auf der Bühne, die wir in diesem Studio aufgebaut hatten, passierte.

Manchmal war das auch für die Musiker etwas frustrierend, weil die Reaktionen, die sie sich erwartet hatten, ausblieben. Aber damit kam das in Gang, wurde im Januar 1976 zum ersten mal Rockpalast genannt, und die erste Sendung unter diesem Titel war ein Studiokonzert mit Procul Harum. In der zweiten trat die Climax Blues Band auf, und inzwischen sind es über 600 Konzerte geworden.

Na ja, schöne Idee, aber...

Die Rocknacht gab es damals ja noch nicht. Wie ist es dann dazu gekommen?

Die Sendezeit, die wir 1976 hatten, war einmal im Monat 30 Minuten. Und in 30 Minuten ein Konzert zu übertragen war nicht das Richtige. Das hörte auf, bevor es richtig angefangen hatte. Aus diesem Format haben wir dann im August 1976 in einer langen Nacht das Konzept für die Rockpalast-Nacht entwickelt.

Wir waren zunächst sehr skeptisch und hatten nach dieser langen Diskussion eher das Gefühl "Na ja, schöne Idee, aber..." Doch am nächsten Morgen bin ich damit zu meinem damaligen Abteilungsleiter gegangen und habe gesagt: "Wir haben da eine Idee ausgebrütet, die finde ich eigentlich ziemlich gut. Ich trag' sie einfach mal vor." Das habe ich dann in einer 25-Minuten Kurzfassung gemacht, und die Reaktion darauf war positiv: "Eigentlich doch eine gute Idee!" Das war auch die Reaktion durch alle Peter Rüchel Hierarchiestufen hindurch.

War eine solche Reaktion nicht ein wenig ungewöhnlich?

U2 LoreleyDas hat mit Sicherheit auch mit der damaligen Mediensituation zu tun: Beat Club, die erste wichtige Sendung auf diesem Feld, gab es schon einige Jahre nicht mehr - es war nichts da. Es fehlte etwas. Und bei diesem Manko war dieser Einfall - Rockpalast eine ganze Nacht lang live - die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt. Es wurde dann gleich Eurovision. Es waren schon bei der ersten Sendung - obwohl keiner wußte, was das sein würde - sieben Länder dabei, von Italien bis Norwegen. Später hat sich das dann auf bis zu vierzehn Länder gesteigert. Wenn wir große Namen zu bieten hatten wie The Who, Grateful Dead, The Police -, hat sogar die BBC teilgenommen. Alle fanden: "Ja genau, das wird jetzt gebraucht", und somit wurde es realisiert, und dann machten wir die erste Rocknacht in der Grugahalle im Juli 1977 mit Little Feat, Rory Gallagher und Roger McGuinns Thunderbird.

Die lassen uns nie wieder auf den Sender!

Wie war es, als ihr zum ersten Mal eine derart große Sendung machen mußtet?

Learning By Doing europaweit live! Denn im technischen Sinne hatten wir damals keine Ahnung. Und insofern habe ich dann, als Produzent mittendrin stehend, gedacht: "Die lassen uns nie wieder auf den Sender!" Die Umbaupause von Rory Gallagher auf Little Feat dauerte 45 Minuten, den Moderatoren ging der Stoff zum Moderieren aus - es war einfach ganz furchtbar.

Aber die Magie dieses erstmaligen Ereignisses - tatsächlich gab es eine ganze Nacht lang Rockmusik i m ersten Programm -, das war das entscheidende Erlebnis, so daß die technischen Fehler, die wir am laufenden Meter gemacht haben, nicht ins Gewicht fielen. Und seitdem haben wir uns natürlich professionalisiert. Eine Umbaupause schaffen wir heute in acht Minuten, auch unter schwierigen Bedingungen. Da gibt es einfach sehr gute Leute. Und damit fing es an.

Welche Reaktionen bekamt ihr auf diese Rocknacht?

ZZ TopDas mußte sich dann auch erst mal durchsetzen. Am Montag der Sendewoche der ersten Rockpalast-Nacht waren 200 Tickets verkauft für die Grugahalle - es kamen 4000. Und 6500 kamen dann bei der zweiten und dritten, und die vierte mit Patti Smith und Johnny Winter war der Durchbruch, da war das Konzert nämlich ausverkauft, noch bevor das Programm bekanntgegeben wurde. Ein Standard, der dann in der großen Zeit des Rockpalast immer gehalten wurde. Ich habe sogar ein Plakat mit "Ausverkauft" gedruckt, was hier im Haus für leicht arrogant gehalten wurde: "Warum druckst Du das denn überhaupt?" -"Das ist doch dann Werbung für die Sendung", antwortete ich, " und zeigt auch, wie stark es gewollt wird." 17 solcher Rockpalast-Nächte mit Eurovisionsbeteiligung haben in der Grugahalle stattgefunden. Wir haben dann 1981 angefangen, zunächst mal versuchsweise und noch nicht mit Live Übertragung, ein Open-Air-Konzert hinzuzufügen, nämlich den Rockpalast auf der Loreley. Das war damals immer Ende August, 1981, um mal zu probieren, wie das technisch, organisatorisch und finanziell geht. Und da das Ergebnis positiv war, haben wir dann ab 1982 auch diese Open-Air-Konzerte live übertragen. Das war damals jeweils ein ganzer Sendetag in den zusammengeschlossenen dritten Programmen von 16.00 Uhr bis 24.00 Uhr. Damals sendeten die dritten Programme ja noch nicht rund um die Uhr, wie sie das heute tun.

Bei euch haben wir unsere besten Konzerte gespielt.

Bei euch in der Produktion war es im Laufe der Rocknächte eigentlich ein ähnlicher Effekt wie beim Publikum: Der Rockpalast wurde so etwas wie eine Droge. Man hat ja schon im März der Oktoberveranstaltung entgegen gefiebert und dann wieder der Nacht im März...

Das kann man so sagen, obwohl ich den Begriff Droge in dem Zusammenhang für unglücklich halte - wenn auch das eine oder andere Bier getrunken wurde in diesen langen Nächten. Soviel ist natürlich richtig: Es waren stark emotional geprägte Ereignisse. Man fieberte dem in der Tat entgegen, sowohl das Publikum als auch die Macher.Ich kann mich sehr gut erinnern an das Gefühl, das mich überfiel auf der Autobahn Richtung Essen, wenn ich am Dienstag der Produktionswoche einbog: "Es ist etwas im Busch es wird noch etwas passieren." Und wir waren dann ja ab Mittwoch mit den Musikern zusammen. Wir wohnten im selben Hotel, wir hatten einen intensiven Kontakt. Wir trafen uns zum Frühstück, zum späten Frühstück, muß man sagen. Wir trafen uns nachts an der Bar. Wir probten den Tag über. Wir entwickelten also ein Gefühl dafür, daß wir eine gemeinsame Sache machten. Das hat dann auch dazu geführt, daß außergewöhnliche Resultate erzielt worden sind. Es gibt Leute, die sagen: "Wir haben bei euch unsere besten Konzerte gespielt." Und das zum wiederholten Male.

An wen denkst du da?

Grateful DeadDas gilt mit Sicherheit für U2, die, bevor sie auf der Loreley auftraten, vor 350 Zahlenden im Metropol in Berlin waren. Auch das war eine ganz wichtige Geschichte beim Rockpalast. Dieser immer wieder gelingende Versuch, etwas näher aneinander ranzukommen. Nicht aus der Distanz zu produzieren, sondern auch die Zeit zu haben, eine Vorstellung davon zu entwickeln, was man gemeinsam machen wollte. Das ist auch mit den ganz Großen gelungen, mit Pete Townshend von den Who beispielsweise. Die erste Begegnung mit ihm war für mich ein ganz starkes Erlebnis. Das war nach einer Probe im Rainbow in London. Der Kontakt war sofort da. Und dann kannte man sich schon. Ab dem Moment, als die Who im Flughafen in Düsseldorf eintrafen und wir gemeinsam im Zollbereich auf das Gepäck warteten, ging man schon mit einer bestimmten gemeinsamen Vorstellung in die Probe hinein. Man war sich nicht mehr fremd. Und dann, als wir nach dem Konzert alle wieder im Hotel in Essen einliefen um 8.00 Uhr morgens zum späten Sektfrühstück war da ein gegenseitiges "Dankeschön. Wir haben es wieder zusammen gemacht." Ein ganz wichtiger Faktor in der Produktion des Rockpalast, wie auch der Kontakt zum Publikum auf der anderen Seite für uns immer ganz wichtig war.

Kontakt zu 3000 namentlich bekannten Fans.

Ich stelle es mir nicht so ganz einfach vor, den Kontakt zum Publikum herzustellen, wenn es um solche Mammutprojekte wie den Rockpalast geht.

Wir wollten es eigentlich so machen wie die Grateful Dead, die eine intensive Kommunikation mit den Deadheads weltweit haben, die so weit geht, daß man durchaus auch zu einem der Neujahrskonzerte anreisen konnte, das natürlich längst ausverkauft war, als Deadhead kam man aber immer rein. Man kriegte zusätzlich die Mails, man bekam die Infos, man war eigentlich immer im Bilde, was mit der Gruppe los war. Sie legte sehr viel Wert darauf, mit ihrem Publikum, mit ihren Fans im Kontakt zu sein.

Das haben wir auch gemacht, wenn auch nicht in diesem großen Stil. Wir haben Adressen gesammelt, wir haben Rundbriefe verschickt zu jeder großen Eurovisionssendung mit Informationen über die Gruppen, mit Discographien. Und danach eine Nachbereitung: Listen der gespielten Titel etc. wurden nachgeschickt an einen Kreis, der immer größer wurde. Wir hatten damals riesige Karteikästen. Heute versuchen wir diesen Kontakt wieder herzustellen, und das ist uns inzwischen auch sehr gut gelungen.

Wir haben einen Rockpalast-Club mit einem Büro in der Kölner Südstadt, in dem Harry, Michael und Uwe diesen Kontakt halten. Der Club hat inzwischen 3000 Mitglieder aus der gesamten Bundesrepublik. Es ist nach wie vor also auch ein Teil dieses Unternehmens Rockpalast, den ich für sehr wichtig halte. Für mich ist es ein ganz wichtiger, emotionaler Punkt, mitzubekommen, daß es Leute gibt, die das sehen wollen, was man da auf die Beine gestellt hat. Das wird natürlich alles noch viel konkreter, wenn man über den Club Kontakt zu 3000 namentlich bekannten Fans hat. Mit vielen von denen kommuniziere ich auch via Computer und E-Mail persönlich.

Es hat ja in der ersten Serie viele phantastische Konzerte gegeben. Die Gallagher-Auftritte gehörten für mich auf jeden Fall dazu. Auch das Chapman-Konzert. Gibt es für dich irgendwelche ganz besonderen Highlights?

Die Wer?Es gibt viele. Es gibt viele persönliche Begegnungen, die geblieben sind und die mir großen Eindruck gemacht haben. Das war Pete Townshend, das war Little Steven. Aber um mal zwei Eckpunkte zu nehmen, einen vom Anfang und einen von heute: Little Feat - unübertroffen - waren damals Christian Wagners und meine Band. Daß wir die in der ersten Rockpalast-Nacht haben durften, das war das Größte. Und um einen ganz weiten Bogen zu spannen, bei der Osterrocknacht in der Philipshalle in diesem Jahr war es eindeutig die Begegnung mit Mike Ness von Social Distortion - jemand, der für mich Musik glaubwürdig auf der Bühne vertritt, der ein glaubwürdiger kalifornischer Punker ist, dem ich abnehme, was er da tut. Das ist nicht bei allen anderen in der gleichen Weise der Fall. Dazwischen gab es natürlich noch jede Menge andere: Joan Armatrading, Graham Parker, Joe Jackson ist ganz wichtig. Ich könnte das jetzt endlos weiter fortsetzen: Beeindruckt war ich auch von ZZ Top und - mit einer gewissen Zeitverschiebung - Mitch Ryder. Ich mußte mich erst von ihm erholen und davon, wie er sich in der Rocknacht dargestellt hat. Das war für den Produzenten ziemlich happig.

Das war auch für die Zuschauer anfangs nicht so ganz einfach. Eigentlich kam das Aha-Erlebnis erst bei der Wiederholung sonntags abends. Als ihr dort noch einmal Ausschnitte aus dem Konzert gezeigt hat, merkte man: Mensch, der hat ja eine klasse Band dabei.

Um noch einmal die jüngste Zeit zu nehmen, also Osterrocknacht und Bizarre-Festival des vergangenen Jahres: Skin von Skunk Anansie, Shirley Manson von Garbage sind Frauen, die einen starken Eindruck auf mich gemacht haben, denen gegenüber manche männlichen Vertreter der Bühnenenergie wie 'Energiedarsteller' aussahen. Es gibt eine Menge Neues zu entdecken.

Nichts ist mir persönlich mehr zuwider als diese Oldie-Shows.

Das führt uns nun ein wenig vom Punkt weg.

Ich nehme das ganze aber schon an dieser Stelle ins Gespräch hinein, weil mir nichts ferner liegt und mir auch nichts unangenehmer wäre, als diesen neuen Rockpalast als ein Unternehmen der Nostalgie zu betrachten. Nichts ist mir persönlich mehr zuwider, obwohl ich die Leute respektiere, die das mögen, als diese Oldie-Shows. Die stehen für mich immer ein bißchen unter dem Gesichtspunkt: Alles Gute hat in der Vergangenheit schon stattgefunden, heute gibt es eigentlich nichts Vernünftiges mehr, und in der Zukunft kann nichts mehr kommen. Diese Art, mit dem Leben abzuschließen, ist nicht meine. Man hat sich ja selbst auch weiterentwickelt, für einen selbst sind zwei Jahrzehnte seit dem Beginn des Rockpalasts vergangen, und irgendwo haben Veränderungen stattgefunden. Wenn das nicht so wäre, wäre es auch ziemlich komisch. Dann würde man ein bißchen seltsam aus der Wäsche gucken, denke ich, wenn alles an einem abgetropft wäre und man noch der Peter Rüchel - in diesem Fall û von vor zwanzig Jahren wäre. Dann müßte man, glaube ich, trauern, denn dann könnte man nicht sehr viel erlebt haben in der letzten Zeit.

Hier möchte ich noch einmal ganz kurz einhaken. Du hast gerade die Oldie-Shows angesprochen. Wie stehst du denn den ständigen Band-Reunions gegenüber, die uns in der letzten Zeit beschert werden?

LoreleyMit großer Reserve. Ich würde allerdings nicht sagen, daß die Tatsache einer Reunion alleine schon gegen die Musiker, die sie vornehmen, spricht. Es kommt nämlich darauf an, was sie daraus machen. Nehmen wir mal eine Band wie The Who, als sie zuletzt wieder QUADROPHENIA aufgeführt haben. Die Nachrichten über den ersten Auftritt im Hyde Park waren ja nicht sehr gut. Ich bin deswegen auch mit großer Skepsis in ein Konzert in der Earls Court-Arena gegangen und war absolut positiv überrascht. Es war nämlich ein tolles Konzert. Und das hatte überhaupt nichts von gestern oder von aufgewärmtem alten Kohl. Es war Material, das einfach gültig geblieben ist. Die Story von QUADROPHENIA war durchaus übertragbar. Der Protagonist hätte durchaus ein Jugendlicher aus dem England des Jahres 1996 sein können. Gut, es hatte die Verfremdung in den Kostümen, es waren die Mods und die Rocker die da auftauchten, auch in den Filmeinspielungen, die in diese Show hineingehörten. Es war gültig in dem Sinne, daß da nicht der Staub aufgewirbelt wurde und der Kalk rieselte, sondern Townshend und seine Truppe waren ganz gegenwärtig. Erstaunlich jung wirkte Roger Daltrey - und die ganze Besetzung mit Bläser-Sektion und Percussion entsprach mehr Townshends SoloProjekt Deep End. Und ich hätte durchaus Lust gehabt, das im Rockpalast zu machen. Ich habe es sogar angeboten. Das ist dann aus vielen Gründen nicht zustande gekommen. Das paßte zeitlich wegen unserer und deren Termine nicht rein. Aber es gab auch finanzielle Gründe: Der Veranstalter, der es in Deutschland bekommen hatte, konnte vier oder sechs Konzerte anbieten, wir nur eines. Solche Gesichtspunkte spielen da natürlich auch eine Rolle. Ich empfinde dieses Unternehmen also nicht als nostalgisch. Das sind zwar Leute, die schon lange da sind, die sich aber zusammengetan haben und denen es geglückt ist, etwas zu machen, das ganz von heute ist, obwohl altes Material verwendet wird. Es gibt ja auch im Bereich der klassischen Musik Aufführungen alter Meister, die unglaublich verstaubt wirken, wo man aus dem Gähnen nicht mehr herauskommt. Es geht mir aber jetzt nicht darum, Künstler auszuschließen oder fertigzumachen, bloß weil sie eine lange Geschichte haben. In dem Moment, wo sie auf eine Bühne treten und glaubhaft mit einem Publikum kommunizieren - in einer ganz eigenartigen Weise ist das zum Beispiel Lynyrd Skynyrd mit ihrem Truck-, Biker- und sonstigen Southern-Fan-Publikum auf der Loreley im vergangenen Jahr geglückt - es war einfach toll. Natürlich denkt man sich dann: "Donnerschlag, zum ersten Mal haben wir sie vor 22 Jahren in der Musikhalle in Hamburg aufgenommen." Aber ich nehme es dann einem Gary Rossington durchaus ab, der auf meine Frage antwortete, ob er nie ans Aufgeben gedacht hätte: " Was hätten wir denn sonst machen sollen? Wir hätten ja sonst nur Baumwolle pflücken oder Erdbeeren ernten können." Da ist so eine Situation da: Die sind mit der Gitarre geboren und verwachsen, und die werden auch mit der Gitarre ins Grab gehen. Das ist ein völlig schlüssiges Leben, zu dem es dann auch einfach keine Alternative gibt.

Das Publikum war leichter für Abenteuer zu haben

Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist dir sehr daran gelegen, auch Neuentdeckungen und junge Bands im Rockpalast zu präsentieren.

Da gibt es schon einige Sachen, die bei den verschiedenen Festivals in diesem Jahr in Erscheinung treten werden, die mir sehr viel sagen und die genauso Entdeckungen sind, wie seinerzeit auch viele Dinge Entdeckungen gewesen sind. Manches kannten wir ja erst mal auch nur von Platten, ZZ Top beispielsweise. Manchmal dauert das alles ja auch eine Ewigkeit, bis es was wird. Ich schweife jetzt mal kurz ab, aber das erlaube ich mir einfach. Als wir uns das erste Mal mit ZZ Top beschäftigten, waren sie bei einem Label namens London, und die waren an Europa damals überhaupt nicht interessiert. Und erst durch den Wechsel zu Warner Brothers, mit denen wir auch schon verschiedene Dinge gemacht hatten und die ein anderes Verhältnis zu Europa hatten, wurde es dann plötzlich möglich. Als ich sie zum ersten Mal traf, im Avalon Ball Room in Chicago, stand der Saal in einer Bierlache. Nach dem zweiten Konzert sind Billie Gibbons, der Bandmanager, und ich in einer Riesenlimousine durch Chicago gekurvt auf der Suche nach einem Blues-Club und mit etlichen Sixpacks im Gepäck. Da waren die natürlich etwas eigenartig berührt, daß sie um vier Uhr morgens auf die Bühne gehen sollten: "Ja wie, da sind doch schon alle eingeschlafen." Ich habe damals gesagt: "Bei euch nicht, ihr geht um vier auf die Bühne und erobert Europa." Und genau das taten sie. Sie gaben um halb sechs fünf Zugaben.

Das war jedenfalls auch eine Neuentdeckung, und es gab auch noch manche andere: zum Beispiel Mother's Finest, wo sogar Leute aus der Branche anriefen und fragten, wer das sei und welche Musik die wohl machten. Auch das Konzert war ein Erfolg.

Lag das nicht vielleicht an der Offenheit des Publikums, das den Rockpalast einfach als eine Veranstaltung verstand die musikalische Qualität bot?

Das Publikum war damals vielleicht leichter für das Abenteuer zu haben, nicht zu wissen, was auf einen zukommt. Nur so war es ja auch zu verstehen, daß Leute Tickets kauften, noch bevor das Programm überhaupt angekündigt war. Heute ist möglicherweise - gerade auch beim jungen Publikum - eine starke Überreizung da, was natürlich auch stark mit den Videokanälen zu tun hat. Obwohl man da auch schon feststellen kann, daß eine gewisse Überfütterung, ein Gefühl von zuviel Kuchen, schon da ist. Zumal die Innovationskraft ja auch nicht so toll ist, es gibt nicht mehr so viel Neues, auch deshalb, weil nicht mehr so viel Geld investiert wird in diese Videos. Wenn ich im Gegenschuß der Kamera aufs Publikum sehe, bin ich eigentlich sehr zufrieden damit, daß sich wieder ein junges Publikum in Live-Konzerte begibt. Das finde ich ganz toll. Und das Stammpublikum der ersten Rockpalast-Serie muß begreifen, daß es damals auch das Programm eines jungen Rockpublikums war. Sie sind nur inzwischen etwas älter und gesetzter geworden und etabliert im Beruf. Ihre Bedürfnisse sollen nicht zu kurz kommen und auch befriedigt werden, aber das ganze Unternehmen könnte gar nicht überleben, wenn man sich nicht auch dem jungen Publikum zuwenden würde. Das würde nicht laufen. Letztlich wäre es auch öde.

Jungs, lehnt Euch zurück, jetzt ist eine neue Zeit.

Du hast ja eben schon das Video angesprochen. Die Videokultur war damals ja dafür verantwortlich, daß der Rockpalast eingestellt wurde.

BackstageEindeutig. Und es war schon bemerkenswert: Es entstand eine völlig neue Bilderwelt mit zum Teil wirklich absolut beachtlichen Resultaten. insbesondere in Falle der großen Acts, bei denen die Plattenfirmen viel Geld in die Produktion von Videos investierten hohe sechsstellige Dollaretats waren damals keine Seltenheit. Und dieses Konzept hatte mit seiner ersten Sendung in Deutschland, Formel Eins, einen Riesenerfolg - wenn man nach Einschaltquoten geht, einen größeren Erfolg, als der Rockpalast als Konzertsendung je gehabt hat. Und irgendwo herrschte dann die Meinung vor: "Das ist jetzt die neue Art, Rockmusik im Fernsehen gültig darzustellen. Livemusik im Fernsehen hat ihre Zeit gehabt, das ist jetzt Geschichte. Jungs, ihr seid Legende. Lehnt Euch zurück, jetzt ist eine neue Zeit." So war das Feeling, das war der eine Grund.

Der zweite war, daß die Einschaltquote auch in den Überlegungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine Rolle zu spielen begann, die sie vorher nie gespielt hatte. Das hing damit zusammen, daß die private Konkurrenz in Sicht war. Sie begann sich zu etablieren und löste in den Öffentlichrechtlichen einen Horror dergestalt aus, daß man sich fragte: "Wie bestehen wir gegenüber dieser Konkurrenz, gegenüber dieser Herausforderung?" Also wurde das Augenmerk stark auf die Quote gerichtet, und alles, was Minderheitenprogramm war, hatte plötzlich bei weitem geringere, wenn nicht gar keine Chancen mehr. Da Rockpalast immer ein Minderheitenprogramm gewesen war, war es dieser zweite Gesichtspunkt, der dazu führte, daß man sagte: "O.K. Zehn Jahre - das war es jetzt." Es kam noch hinzu, daß der Rockpalast relativ viel Geld kostete, denn wir hatten drei Eurovisionssendungen im Jahr, wir hatten eine wöchentliche Sendung mit Neuproduktionen, eine Zeitlang hatten wir sogar zwei wöchentliche Sendungen, eine für Neuproduktionen und eine für Wiederholungen - und das kostete Geld.

Irgendwie drifteten wir - in die alte Richtung zurück.

Doch die Lage änderte sich dann auch wieder.

Das änderte sich erst, als ich einen Wechsel im Hause vornahm. Man muß hier den Namen Hans-Jürgen Rosenbauer nennen. Er war damals Chef der Kultur. Er hat mich in seinen Bereich, die Musikredaktion, geholt. Diese Musikredaktion ist in ihrer gegenwärtigen Form einmalig in der ARD, weil sie alle Sparten von Musik zusammenfaßt: E-Musik in Geschichte und Gegenwart, Jazz und Rock. Damit kam ich in einen anderen gedanklichen Zusammenhang, der dann auch wieder neue Diskussionen möglich machte. Es wurde dann eine neue Reihe eingerichtet, die Rocklife hieß. Zu dem Namen Rockpalast wollte ich nicht so ohne weiteres zurückkehren, denn der hatte eine ganz bestimmte hervorgehobene Bedeutung. Das war ganz klar mit den großen Eurovisionsereignissen und den nächtelangen Übertragungen verbunden. Das sollte es ja nicht sein. Rocklife hatte zunächst ein anderes Konzept. Es war nicht gedacht als reines InConcert-Format, sondern als Club-Format mit In-Concert-Teilen neben anderen wie Moderationsteilen, Interviews etc. Wir produzierten in der Live Music Hall in Köln. Das funktionierte dann mehr oder weniger. Irgendwie drifteten wir immer mehr in die In-ConcertRichtung zurück. Das lief dann eine Reihe von Jahren, und der absolute Wendepunkt war dann die Einrichtung der WDR-Rocknacht, wie das zunächst hieß, im Januar 1994 mit wöchentlich fünf bis sechs Stunden.

Wie kam es dazu?

Das war zunächst aus dem Interesse entstanden, die Nachtlücke zu schließen und rund um die Uhr senden zu können. Darauf kamen dann heftigste Reaktionen. Es hat eine Zeit gegeben, wo meine Sekretären Anja Becker abends entnervt aus dem Büro gegangen ist, weil sie ununterbrochen nur mit Leuten telefonieren mußte, die sagten: "Wunderbar!" Das führte dann sofort dazu, daß wir eine Hotline einrichten mußten, um uns wieder für die redaktionelle Arbeit freizumachen.

Das zeigt auch, daß das Publikum nicht zu unterschätzen ist. Das Publikum hat etwas zu sagen. Wenn es sich so massiv äußert, bekommt es auch eine Antwort von den Anstalten. Es bekam seine Antwort. Ich hatte eine Plattform, auf der ich in diesem Hause über neue Dinge diskutieren konnte mit Leuten, die ohnehin offene Ohren haben. Die Einrichtung des Open-Air Festivals auf der Loreley 1995 war dann schon die Folge auf diese Reaktionen.

Dann kam eine Rockpalast-Nacht im Ersten am 25. November 1995. Das war eine ganz spontane Idee, die auch eine ganz spontane Reaktion der ARD Programmkonferenz hervorrief. Das war noch kein eigenes Konzert, sondern das waren Ausschnitte von Produktionen aus dem Jahre 1995. Die Anregung zu diesem Ereignis ging aus von Ernst Ludwig Hartz von der Concert Cooperation Bonn. Wir haben für die Nacht Fax- und Telefonhotlines eingerichtet - diese Institution wird im übrigen auch bleiben. Die Reaktionen, die wir in dieser Nacht erhalten haben, waren so toll; "Schluß mit den NWDR-Privilegien, der Rockpalast muß ins Erste!", lautete ein Fax. Und damit fing es dann wieder an.

Es ist immer wieder schön, Akzente zu setzen

Ich glaube, daß die Frage der Anzahl der auftretenden Gruppen entscheidend ist. Ich denke, bei der 1996er Rocknacht in der Grugahalte waren einfach zu viele Bands am Start. Denn es war ja immer die große Stärke des Rockpalast - und ich will hier wirklich nicht in Nostalgie schwelgen -, daß man von drei oder vier Bands einen fast kompletten Set sehen konnte.

Das ist richtig. Wir sind jetzt bei der Loreley leider wieder dabei, in diese Richtung zu driften. Es gibt da nämlich viele konkrete Probleme mit den Agenturen - vor allem in England - und dem Management. Da muß man dann manchmal sagen: "Die Band, die Ihr als Opening Act dazu haben wollt, finden wir nicht schlecht. Machen wir."

Roger McGuinnDa gibt es natürlich dann viele diplomatische Notwendigkeiten. Man ist nicht mehr so frei, wie man in der ersten Serie war. Schon allein, was die Gagen angeht, ist das heute anders. Man muß Marktgagen zahlen, während das damals einfach nicht notwendig war. Da ersetzte einfach ein Auftritt in der Rockpalast-Nacht eine Europatournee, und das war viel interessanter und wichtiger als die Gage. Wir haben auch damals richtiges Geld bezahlt - das war zum Teil fünfstellig, aber nicht hoch fünfstellig. Heute sind die Gagen gelegentlich sechsstellig, wenn es um die Headliner geht. Da hat sich an der Marktlage also schon etwas verändert.

Es ist immer wieder schön, wenn man unter diesen Umständen dann noch etwas Ungewöhnliches zustande bringt, ein paar Akzente setzt, die ganz ungewöhnlich sind und auf einem vergleichbaren Festival mit Sicherheit so nicht vorkommen könnten - wie der Auftritt von Jean Paul Bourelli am ersten Tag der Loreley in diesem Jahr, der für mich einfach ein genialer Gitarrist ist. Man muß natürlich auch daran denken, daß man Headlining-Positions so besetzt, daß tatsächlich auch Leute kommen.

Ich möchte noch auf die Übertragungen zu sprechen kommen. Bisher war es ja so, daß die Festivals zeitversetzt im Fernsehen zu sehen waren. Damit ist ein wenig von dem 100prozentigen Live-Gefühl im eigenen Wohnzimmer verloren gegangen.

Das ist richtig, und das ist schade, aber im Moment nicht anders zu regeln. Eine Zeit, die weit vor Mitternacht liegt, ist in der ARD für dieses minoritäre Programm nicht zu haben. Einen Spielfilm muß es geben nach dem Wort zum Sonntag. Das sind eben die Quotenbringer. Immerhin hatten wir - zwar aufgrund der Tatsache, daß die Osterrocknacht von Sonntag auf Montag war - einen Sendebeginn von 0.35 Uhr. Damit konnten wir zumindest H-Blockx noch live machen. Wir hatten uns für die letzte Rockpalast Nacht in der Grugahalle vorgenommen, um Mitternacht mit der Übertragung zu beginnen. Dann hätten wir live von Mitternacht bis vier Uhr früh übertragen können und dann den Rest nachholen. Das ging leider nicht, weil das Konzert in der Nacht von Freitag auf Samstag stattfand.

Am 21. Juni bei der Übertragung von der Loreley konnten wir um 23.55 Uhr beginnen und somit noch das Ende des Simple Minds Konzerts live übertragen. Der Rest wurde dann nachgeliefert. Es wird sich zeigen, ob das eine gute Idee war.

Vielen Dank für dieses Interview.


© Jürgen Brück Rock & Pop Sammlung 1997

Mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Brück und der Zeitschrift Rock & Pop Sammlung

Rock & Pop Sammlung  - Börse, Discographien, Information

Teil II der Rockpalast Geschichte (Eine Dekade in Rock) erschien in Heft 2 November 1997, Teil III (Phoenix aus der Asche) in Heft 4 Januar 1998.

Jürgen Brück Rock & Pop News


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