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Peter Rüchel - „Rock'n'Roller ist man ein Leben lang”Peter Rüchel, 67, ist Erfinder, Herz, Seele und Gesicht des Rockpalast, jener legendären WDR-Konzertreihe, die seit Mitte der Siebzigerjahre den Rockfans einen willkommenen, samstagnächtlichen Absacker im ARD-Programm sowie zahllose legendäre Live-Erlebnisse bescherte. Nun veröffentlicht die ARD, wo Rüchel als Berater und Koordinator weiterhin tätig ist, die ersten, liebevoll zusammengestellten fünf Live-DVDs von Rory Gallagher, Thin Lizzy, Huey Lewis, Southside Johnny und Roger Chapman. Was bedeuten die DVDs eigentlich Dir persönlich? Rüchel: Also, wenn ich die DVDs so betrachte, dann ist das ein Moment des Innehaltens, der Vergewisserung darüber, was das denn eigentlich war, vor allem damals in der ersten Serie. Der WDR hat mich pensioniert vor zwei Jahren und mir diese Gelegenheit gegeben, als er mich mit der Zusammenstellung dieser DVD-Reihe betraut hat. Trotzdem schaue ich nicht nur zurück, sondern habe noch ganz andere Konzepte im Kopf, wie man vielleicht Rockmusik im Fernsehen darstellen kann. Wer ist denn Zielgruppe? Die alten Rocker, die das damals miterlebt haben? Rüchel: Ja. Ganz klar. Die Leute, die seit der ersten Serie des Rockpalast, also seit mehr als 25 Jahren, dabei sind, bekommen so die Möglichkeit, etwas wieder aufzusuchen, was für sie von eminenter Bedeutung gewesen ist. Es ist schwierig, diese Geschichte den heute 14- oder 16-Jährigen zu vermitteln. Für die eigene, nicht nur musikalische Entwicklung von Menschen war der Rockpalast damals eine sehr große Sache. Vielen hat der Rockpalast überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, diese Musik kennen und schätzen zu lernen. Auch die erste Serie war ja nicht nostalgisch. Mit Rory Gallagher fing es an, dann The Who und Grateful Dead. Aber auch The Police, damals eine ganz junge Band. Nicht nur die reine Bluesrock-Linie war vertreten, auch Soul oder modernerer Rock wie Joe Jackson oder George Clinton, später auch die Red Hot Chili Peppers. Die musikalischen Welten in der ersten Serie bis 1985 waren also keinesfalls eindimensional. Dieses weite Spektrum soll sich auch in den DVD-Veröffentlichungen, so wie sie nun immer weiter fortschreiten werden, zeigen. Also kommt es nicht von ungefähr, dass Rory Gallagher den Auftakt macht? Rüchel: Genau, Rory sollte unbedingt eine der ersten Veröffentlichungen sein. Er ist eine der großen Galionsfiguren der ersten Rockpalast-Reihe von 1977 bis 85. Wir hatten ihn ja nicht nur bei der ersten Grugahallen-Nacht 1977 dabei, sondern schon ein Jahr vorher in einem kleinen Studio in der Kölner Südstadt. Rory hat immer ausgezeichnet, dass er einzig und allein für die Musik lebt. Ist das gut oder schlecht? Rüchel: Es ist gefährlich. Seine Besessenheit hat ihn zu einem sehr einsamen Menschen gemacht. Uns verband eine langanhaltende Freundschaft, er war immer wieder unser Gast und sein bluesbezogenes Gitarrenspiel war ja auch sehr konstituierend für unsere damalige Reihe. Aber leider war es sein Lebensschicksal, dass es außerhalb der Musik nichts für ihn gab. Aufgrund dieser Besessenheit ist er auch sehr einsam gestorben. Man sollte nicht alles aus seinem Leben ausschließen, was das Leben lebenswert macht. Was ist denn nach den fünf ersten DVDs geplant? Rüchel: ZZ Top. Die wollten wir eigentlich jetzt schon dabeihaben, aber dann klappte das nicht, weil das Management irgendwelche anderen Veröffentlichungspläne hatte. ZZ Top haben damals nachts um vier bei uns gespielt, und die Halle war immer noch voll. Danach waren sie auch in Europa Superstars. Der Rockpalast war ja damals eine Eurovisionssendung, das heißt, man konnte das von Skandinavien bis Griechenland sehen. Als nächstes stehen bereits UB 40 und Joan Armatrading fest. Gern hätte ich auch bald The Who, Pete Townshend gehört auch zu den Menschen, die über die Jahre zu sehr engen Freunden geworden sind. Sag doch mal was zu den Künstlern auf den schon erschienenen DVDs. Rüchel: Nehmen wir Southside Johnny And The Asbury Jukes aus New Jersey, ein bisschen in der Tradition von Sam Cooke. Die haben ja praktisch das Repertoire von Little Steven gespielt— meiner Meinung nach ein völlig unterschätzter Songschreiber und bis heute einer meiner engsten Freunde. Bruce Springsteen, über den ich immer gesagt habe, dass der Tag, an dem ich ihn in meine Sendung bekomme, der Tag vor meiner Pensionierung sein wird, begründete mein großes Interesse an der Musik, die aus New Jersey kam. Leider hat es mit Springsteen nie geklappt. Aber Little Steven war ja lange Jahre festes Mitglied der E-Street-Band. Und was hast Du an Thin Lizzy für eine Erinnerung? Rüchel: Die Veröffentlichung der Thin-Lizzy-DVD ist ein richtiges Ereignis. Deshalb, weil wir beim Konzert 1981 die Senderechte nur für fünf Jahre erworben hatten. Und besonders auch deshalb, weil es eines der letzten Konzerte vor Phil Lynotts Tod war. Roger Chapman? Rüchel: Der englische Rock war ja auch großer Bestandteil dieser Jahre. Und Chapman gehörte als Gründungsmitglied von Family ja schon mit in die 60er. Er war und ist nach wie vor ein Rocksänger erster Güte. Die Energie, mit der Chapman auf die Bühne gegangen ist, die war furchterregend manchmal. Auch Roger ist über die Jahre ein guter Freund geblieben. Diese unmittelbaren Begegnungen mit Chappo, die ich immer wieder hatte, die führten dazu, dass er über die Jahre immer wieder bei uns aufgetreten ist. Erst mit den Streetwalkers, später mit The Shortlist. Der war zu gut, um nicht immer mal wieder bei uns aufzutauchen. Huey Lewis? Rüchel: Tja, da kann ich gar nicht mehr konkret sagen, wie wir zu Huey gekommen sind. Er hatte damals ein Album draußen, das hieß „Sports” und gefiel uns gut. Dann haben wir ihn eingeladen, ja, und dann war er da. Auch so einer, wo sich sofort eine entspannte Beziehung entwickelte. Die Zusammenarbeit in der Grugahalle fand er damals absolut überraschend. Er sagte: „Wir haben immer darauf gewartet, dass uns einer anschreit.” Aber es war Harmonie. Auch das ein wichtiger Punkt für uns. Die Zuwendung zu dem Musiker, die stand immer absolut im Mittelpunkt. Das musste man sich gar nicht besonders vornehmen, es war eine ganz natürliche Stimmung. Später, in der Phase, die „Rocklife” hieß, kam er noch mal, 1991 war das. Die Erfahrung einer Gemeinsamkeit hat für mich bei dieser ganzen Geschichte immer eine Riesenrolle gespielt. Es war immer so, dass wir drei Probentage und einen Sendungstag miteinander Zeit hatten, alle wohnten im selben Hotel, es gab jedes Mal einen Empfang mit Essens Oberbürgermeister. Wir hatten immer viel Zeit, um diesen Rockpalast als unser Ding zu verstehen. Heute? Rüchel: Beim Bizarre Festival oder bei Rock am Ring begegnest du heute der Gruppe in dem Moment, wo sie auf die Bühne geht. Gestern waren sie dann vielleicht in England, morgen in Italien, es wird möglichst viel abgegrast, um Kohle zu machen. Was den persönlichen Kontakt angeht, war die erste Serie das Paradies. Sind es rein die Konzerte auf den DVDs oder noch mehr Schnick-schnack? Rüchel: Es sind Konzerte und Interviews. Außer bei Thin Lizzy sind es aber immer mindestens zwei Konzerte, so dass wir auf rund vier Stunden Spielzeit kommen. Warum ist so wenig Krautrock dabei? Rüchel: Na ja, wir fangen ja erst an. Aber so richtig viel Krautrock haben wir auch nie gemacht. Als erstes fällt mir interessanterweise Guru Guru ein. Bei den Eurovisions-Sendungen war das ein Problem, die wurden ja von Italien bis zum Nordkap übernommen, was einen gewissen internationalen Charakter vorgegeben hat. Insgesamt sind wir da etwas unterbelichtet und haben vielleicht manche Phänomene nicht so hoch eingeschätzt, wie sie es verdient hätten. Heutzutage läuft der Rockpalast nachts von Sonntag auf Montag, ziemlich versteckt im Programm. Macht Dich das traurig? Rüchel: Sicherlich, aber es ist auch unausweichlich. Wir hatten damals eine Spielwiese im WDR, für Einschaltquoten interessierte sich noch niemand, die privaten Sender gab es noch nicht. Das änderte sich allmählich Anfang der 80er, da wurde ich bei der Programmkonferenz schon mal vom Intendanten gefragt, wie denn die Einschaltquote gewesen wäre. Meine Antwort „100 Prozent bei den Leuten, für die Rockmusik ein Lebensmittel ist” war zwar lustig, aber irgendwann nicht mehr die Währung, in der man den Programmerfolg berechnete. Parallel zum Privatfernsehen kam mit den Videoclips eine vollkommen neue und aufregende Präsentationsform. Letztlich muss man froh sein, dass es den Rockpalast überhaupt noch gibt, es hatte immer geheißen, solange Peter Rüchel da ist, bleibt er bestehen. Jetzt bist Du Rentner. Fällt Dir das schwer? Rüchel: Es ist nicht einfach, zumal Rock'n'Roll-Mensch zu sein ja nicht einfach mit dem 65. Lebensjahr aufhört. Rock'n'Roller ist man ein Leben lang. Mein Sohn ist jetzt 14, neulich waren wir in Köln beim Metallica-Konzert und haben beide getanzt. Es interessiert mich sehr, was der Kleine musikalisch so gut findet. Ich möchte aber noch mal auf diesen Gedanken zurückkommen, was den Pensionär angeht. Ich befinde mich in einem Moment des Innehaltens und des Nachdenkens. Aber ich bin nach wie vor dabei, neue Dinge zu realisieren und anzuschieben. Die sind noch nicht ausgereift, aber wenn sie es sind, werden sie als erstes dem WDR angeboten. Ohne den WDR hätte es den Rockpalast damals nicht gegeben. Von meinem ersten Intendanten Werner Höfer bis zu Ulrich Deppendorf, dem ich diesen Vertrag verdanke, haben sie alle mitgewirkt. Es ist also ein Stück des Geistes des WDR, der in dieser Rockpalast-Geschichte in Erscheinung tritt. Steffen Rüth Steffen Rüth - Eclipsed © 2004 Eclipsed - Rock Magazin - Nr.62 Mai 2004 www.eclipsed.de Mit freundlicher Genehmigung der Eclipsed Redaktion.
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