Mr.Rockpalast Eclipsed 2017
Das unauffällige Reihenhaus unterm Bayer-Kreuz gleicht einem Versteck. Und auch im Inneren weist nichts darauf hin, dass hier jemand wohnt, der sein berufliches Leben mit Jugendkultur und Rockmusik zugebracht hat: keine gerahmten Bilder mit befreundeten Musikern, keine Goldenen Schallplatten, signierten Instrumente oder sonstige Devotionalien. Nicht einmal Billyregale mit LPs. Stattdessen ist Peter
Rüchels Arbeitszimmer überladen mit Büchern und Zeitschriften. Sortiert nach einem System, das nur er kennt. Und er sitzt gerne im Dunkeln oder im Halbdunkel. Als eclipsed am frühen Nachmittag bei ihm in Leverkusen aufschlägt, ist es noch hell. Als wir uns zweieinhalb Stunden später verabschieden stockfinster.
Dazwischen gibt es Kaffee, und Rüchel, der sein schlohweißes Haar immer noch schulterlang trägt, aber kein Althippie sein will, redet viel - ruhig, sachlich, druckfrisch. Fast so, als würde er seine Memoiren diktieren, und das mit einem Gusto, als wäre er noch schwer aktiv. Und irgendwie ist er das auch: „Der Rockpalast macht einen zentralen Teil meines Lebens aus. Das waren vierzig Jahre, in denen ich pausenlos beschäftigt war. Und es war kein Muss, sondern entsprach absolut dem, was ich machen wollte. Ich habe
mein Geld also mit dem verdient, was mir am Herzen lag.”
Und das war: Livemusik ins deutsche Fernsehen zu bringen. Zuerst mit einer wöchentlichen Dreißig-Minuten-Sendung, die in den Räumlichkeiten des WDR in der Kölner Südstadt produziert wird, dann mit den sogenannten Rocknächten, die zwischen 1977 und 1986 zweimal jährlich in der Essener Grugahalle stattfinden, mit Festivals auf der Freilichtbühne Loreley sowie Clubkonzerten in Hamburg, Berlin und
Bochum, zu denen viele spannende Künstler und Bands antreten. Das alles organisiert er in einer knapp zehn Quadratmeter großen Schaltzentrale im siebten Stock des Kölner Vierscheibenhauses, die nicht selten einem Kriegsgebiet gleicht. „Alle paar Monate war das Büro mit LPs zu
gewachsen, und ich habe alles verschenkt, um da auch nur halbwegs arbeiten zu können.”
Rüchel erinnert sich an jedes Detail seiner Produktionen, erzählt mehr Anekdoten, als ein Sonderheft fassen könnte, und entwirft das Bild einer besseren Zeit: mit einer familiären Atmosphäre, Künstlern zum Anfassen, korrekten Managements, einem Publikum, das sich auf stilistische Vielfalt einlässt, und einem Sender, der ihm, Rüchel, freie Hand lässt. Was sich schlagartig ändert, als sich die Öffentlich Rechtlichen plötzlich der Konkurrenz durch die Privaten gegenübersehen und es um Quoten geht. Quoten, die Rüchels
Programm wegen seines Nischencharakters natürlich nicht hat. „Da hieß es: ,Herr Rüchel, wie viel Marktanteil hatten sie denn?' Und ich: ,Dr. Struve, einhundert Prozent - alle, für die Rockmusik ein Lebensmittel ist, haben zugeguckt.' Aber nach dem Misserfolg der ,16. Rocknacht' mit Ruben Blades und den Rodgau Monotones [19./20.10.1985; Anm] wurde mir gesagt: ,Herr Rüchel, ich setze ihre Sendung ab.” Rüchel produziert noch eine letzte, vertraglich bereits vereinbarte Rocknacht im Jahr drauf - dann ist Schluss.
Für den Musikfan ein Schock, von dem er sich nie richtig erholt, selbst wenn der Rockpalast Jahre später ein zartes Comeback mit Veranstaltungen auf der Loreley, in der Düsseldorfer Philipshalle und Übertragungen des „Bizarre Festivals” erlebt.
Für den gebürtigen Berliner ist es nicht dasselbe. 2003, mit 65, räumt er seinen Stuhl mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Er hat Pionierarbeit geleistet, aber die moderne Fernsehwelt ist eine andere. Seitdem überwacht er im Auftrag des WDR die Sichtung des Rockpalastarchivs für DVD-Veröffentlichungen, er hat seine Autobiografie geschrieben und ist regelmäßig mit den 78Twins aus Essen unterwegs. Einer Band, die seine Lesungen (die eigentlich freie Rezitationen sind) mit Coverversionen von Songs seiner
Lieblingskünstler verfeinert. Aktuelle Musik hört er dagegen kaum noch, besucht lieber Veranstaltungen lokaler Künstler in Leverkusen. Von den vielen Musikern, die er kennengelernt hat, hat er noch Kontakt zu Little Steven und Billy Gibbons von ZZ Top. Im Juli, so hofft er, widmet ihm der WDR eine Dokumentation aus Anlass des vierzigsten Jubiläums der „1. Rocknacht” mit Roger McGuinn, Rory Gallagher und Little Feat. Ob er das legendäre „Tschörmän telewischen prautli prisents” zu diesem Anlass endlich einmal selbst
schmettert, verrät er nicht. Immerhin: „Ich habe es erfunden”, lacht das Geburtstagskind und sucht den Lichtschalter. Es ist Nacht in Leverkusen. und Rüchel hat fertig. Zumindest für heute.
Marcel Anders
Marcel Anders - Eclipsed © 2017
Eclipsed - Rock Magazin - April 2017 www.eclipsed.de
Mit freundlicher Genehmigung der Eclipsed Redaktion.
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