Rockpalast Archiv

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Musik Joker

Das war die heisse Rock-Nacht

Die Rory Gallagher Band, Little Feat und Roger McGuinn's Thunderbyrd, 200 Leute in der Crew, 5000 im Publikum, 20 Millionen Fernsehzuschauer und sechs TV-Kameras waren an der längsten Rock-Nacht des Jahres beteiligt: dem Rockpalast Festival in der Essener Grugahalle. JOKER war dabei

So war's in der Grugahalle:

Den ersten Applaus gab's schon bei den Proben

Roger McGuinn ThunderbirdMann, es ist schon ein Trip, wenn du weißt: Gleich gehst du raus auf die Bühne und genau im selben Moment sind 20 Millionen Leute dabei. Du mußt dir einen Ruck geben, aber wenn du mal angefangen hast, ist es ein Gefühl, als würden dir Flügel wachsen." Roger McGuinn, Boß von „Thunderbyrd” und Veteran der Byrds sitzt nach einer Nacht ohne Schlaf im Hotel-Frühstücks- raum und verdaut wie alle anderenam Tisch die Eindrücke der letzten zwanzig Stunden. Es ist Sonntag, der 24. Juli 1977, morgens früh um sechs. Den jetzt übernächtigten, bleich und verschwitzt vor ihrem Kaffee sitzenden Musikern, Fernsehleuten, Journalisten und Technikern ist es klar: In den Stunden vorher ist mehr passiert, als sonst zu irgend einem Zeitpunkt der letzten zehn Jahre Rockgeschichte in Europa. Große Worte, aber in diesem Zusammenhang passend: In der Essener Grugahalle, knapp zwei Kilometer von Roger McGuinns Morgenkaffee entfernt, ist nicht ganz zwei Stunden vorher eine Rocknacht zu Ende gegangen, die gleich einen Haufen von Superlativen auf sich vereinigt:

• Es war das erste Rockfestival auf dem Kontinent, das erst eine Stunde vor Mitternacht begann und bis zum wolkenverhangenen Sonnenaufgang dauerte,

• es war die erste Rockveranstaltung überhaupt, die gleichzeitig live im Fernsehen und Stereo im Hörfunk in neun europäische Länder übertragen wurde,

• es war das erste Rock-Ereignis, das nach autorisierten Schätzungen rund zwanzig Millionen Zuschauer am Bildschirm zusammenbrachte

• und es war die mit Ausnahme der Mondlandungs-Ubertragung und der Olympia-Berichterstattung längste ununterbrochene Livesendung, die es im deutschen Fernsehen je gegeben hat. Es war in einem Wort gesagt, das Rockpalast Festival des Westdeutschen Rundfunks.

Rory GallagherAuf der Bühne standen engagiert wie selten: Rory Gallagher mit seiner Band, Little Feat und Thunderbyrd unter Leitung von Mister McGuinn. Vier Tage lang hatten Aufbau, Beleuchtungsproben, Soundcheck und Vorbereitungen am Ort gedauert. Es hatte Hektik, Platzgerangel, Pannen, Verzögerungen und Schwierigkeiten beim Zoll gegeben. Und es hat Augenblicke wie diesen gegeben: Rory Gallaghers Band, die nachts zuvor noch in Montreux am Genfer See gespielt und eine Gewalt-Tour nach Essen hinter sich hatte, brachte bereits auf der Probe am frühen Samstagabend eine solche Power auf die Bühne, daß Techniker, Kameraleute, Roadies und Journalisten für eine Zeitlang die Arbeit vergaßen und applaudierten.

Gallagher's Band war sicherlich der „Absahner” des Festivals und das wird ihm niemand neiden. Getragen vom Enthusiasmus der 5000 im Gruga-Auditorium rackerte Rory wie ein Besessener. Von Ermüdung nach etlichen Profijahren keine Spur, stattdessen 90 Minuten Rockmusik at it's best. Hinter der Bühne konzentrierte Arbeit und das beginnende Gefühl von Erleichterung: Das Ding läuft. Peter Rüchel, Redakteur und Leiter der Sendung, der am Tag zuvor gesagt hat: „Wenn mir noch jemand etwas von seinem Pessimus erzählt, mach ich einfach die Ohren zu”, kann wieder lächelen.

Mir fällt auf, daß sich im Gegensatz zu so vielen anderen Festivals anstelle des „Wer ist denn hier Der Größte?" ein Team-Gefühl breitgemacht hat, bei dem jeder weiß daß es auf ihn, aber ebenso auf die anderen Beteiligten des Unternehmens ankommt.

Nach Rorys Gewaltkur hatte Little Feat, Amerikas unterbewertete Supergruppe, einen etwas schweren Stand. Sie hatten in der Halle nicht unbedingt „ihr” Publikum und so hing die Feat-Musik bei aller Ausgeklügeltheit und aller swingender Perfektion ein wenig in der Luft.
McGuinn's Band hatte es da leichter: Thunderbyrd brachte aktuelles vermischt mit alten Byrds Rennern wie „Mr. Spaceman“, „Eight Miles High” und "Turn Turn, Turn". So konnte das Publikum auf bereits Bekanntes einsteigen und die Ohren öffnen für das was Thunderbyrd heute zu bieten hat. Und das braucht sich hinter den alten Hits nicht zu verstecken.
Mittlerweile dämmert es über der Ruhr. Bei Publikum und Aktiven machte sich zufriedene Müdigkeit breit. Am Ende bei aller Historie und TV-Rekorden das letztlich entscheidende Gefühl: Es war ein gutes Festival, eines der besten, die wir je hatten. Rockpalast roll on!

Little FeatHolger Krüssmann

So war's im Fernsehen:

Guter Ton mit schlechten Sprechern

Noch die Zeitansage im Ohr („Vier Uhr achtundvierzig") fragte man sich am Sonntagmorgen: War es ein Traum, oder war es Wirklichkeit? Fünfdreiviertel Stunden Rock non stop im deutschen Fernsehen?! D a ß so etwas geschehen ist beeindruckt viel stärker als w i e es geschehen ist. Die parallele Stereo-Ubertragung aus dem Radio überspielte den sonst so kümmerlichen Fernsehton und wertete das TV-Ereignis entscheidend auf.
Bei dieser Live-Sendung war es nur folgerichtig, die Kamera auf den Musik-Akteur zu halten. Sensibel und flexibel natürlich. Genau so haben's Regie und Kamerateam auch gehalten. Keine aufgesetzten Technik-Gags, keine befremdenden Mikroskopien. Hier wurde Musizieren gefilmt. Aus der ersten Reihe, vom Seitenrand der Bühne, aus dem unmittelbaren Hintergrund. Manch kleine Verzögerungen, bis der Lichtspot den jeweiligen Solisten fand, und die Kamera ihn dann hervorheben konnte, fielen nicht ins Gewicht.

Roger McGuinnWir konnten sehen, wie sehr sich der Blues-Rocker Rory Gallagher schaffte. Wir wurden optisch gewahr, wie das rhythmische Funk-Gemisch der Little Feat gebraut wird, und jedem Zuschauer sprang die angespannte Konzentration des Roger McGuinn ins Auge. Die Überbrückung der Umbaupausen mit extrem verschiedenen Füllseln (Leo Kottke, Linda Ronstadt, Frankie Miller und Tom Petty u. a.) entspricht einem unglücklich vollgepfropften Festival-Programm. Hier sollte man nach Alternativen suchen.

Die miserable Moderation glich einer Zumutung. Hilfloses Geholper von den äußerst schlecht vor- bereiteten Sprechern bereitete dem TV-Zuschauer eine peinliche Pein nach der andern. Die Gespräche mit den Musikern blieben in der Idee stecken. Die Fragen waren zu banal, die Moderatoren völlig humorlos. Wer' z. B. Roger McGuinn auf eine Wiedergeburt der Byrds anspricht und nicht auf die kürzlich spektakulär geplatzte Drei-Original-Byrds-Tournee kommt, ist einfach nicht im Bilde.

Ingrid Blum


Ingrid Blum und Holger Krüssmann

Musik Joker - Zeitung für Musik und Freizeit nr. 17/77 vom 8. bis 21. August

erschien 14 täglich in der Axel Springer Verlag AG

Mit freundlicher Genehmigung von Holger Krüssmann, Ingrid Blum konnte ich bisher nicht erreichen!


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