Rockpalast Archiv

Musiker

Uli Tobisnky: Idee und Text - Mike Tobinsky: Fotos

Spätestens seit der 'Rockpalast'-Festival-Nacht am Samstag, 23.7.77, 23:25 Uhr, wird wohl jeder wissen, daß es ihn gibt: den Rockpalast - Deutschlands einzige regelmäßig ausgestrahlte Rockmusik-Sendung. Seit Anfang '76 beansprucht er 30 Sendeminuten der so kostbaren Fernsehsendezeit. Die Redaktion Jugend des Westdeutschen Rundfunks produziert ihn, ausgestrahlt wird er in den 3. Programmen der ARD (Arbeitsgemeinschaft Rundfunk Deutschlands).

Ehrlich, durchschaubar und konsequent im Rezept, regelmäßig ausgestrahlt, kompromißlos gegenüber Glitter-, Glamour-, Disco-Rock und Retorten-Rock Gruppen (kennt jemand die Bay City Rollers!?) - denn nur Könner schaffen die hohen Qualitätshürden, die Christian Wagner, Regisseur und Autor, und Peter Rüchel, Redakteur, an die Musiker stellen - hat er viele aufrichtige Freunde unter dem Fernsehvolk gefunden.

Mich störte es, so wenig über die Leute und Dinge hinter den vielgenannten Kulissen zu wissen. Also machte ich mich auf zum WDR, an meiner Seite der ewige Begleiter solcher Aktionen, der Fotografierer Mike. Und hier das Resultat:

DIE "ROCKPALAST" - STORY

Rockpalast

Dreiteilig ist sie: 1. "Rockpalast" woher? wohin?

2. "Rockpalast" - TV, Toningenieur und Rockmusik

3. Interview mit Christian Wagner, Regisseur und Autor des 'Rockpalast'.

 

Früher gab es im ARD Sonntags um 11: 15 Uhr eine Sendung genannt 11 1/2, die abwechselnd von den der ARD angeschlossenen Sendeanstalten produziert wurde. Ihr Konzept: Eine Mischung von Musik und Information zu bestimmten Problematiken, wobei die Musik lediglich die Funktion eines Transportmittels hatte; sie sollte die Jugendlichen überhaupt erst von den Bildschirm locken. Resultat: Wen die Musik interessierte, war erbost über das "Gerede" dazwischen, wen gerade das interessierte, der verwünschte die "störende Musik". Konsequenz: Auf der einen Seite eine Sendereihe, die nur jugendproblematische Inhalte hat (So. Dokumentarfilme über ein Thema), auf der anderen Seite eine reine Musiksendung, deren informativer Teil sich nur auf die/den jeweils vorgestellten Musiker bezieht. Als dieser Entschluß 1975 gefaßt wurde, hatte die Redaktion Jugend beim WDR zwar noch einige Studiotermine frei und etwas Geld, nicht aber Sendetermine, weder im 1. noch im 3. Programm. Also wurden die damals entstandenen Produktionen (z.B. mit Brinsley Schwarz, Allen Price und Steeleye Span) erst einmal auf Eis gelegt. Wie es weiterging, wird jedem klar sein: Solche Aufnahmen sind hervorragende Weihnachtsgeschenke für das jugendliche Fernsehvolk. Man brachte sie zusammen mit einigen Wiederholungen in dem Weihnachtssonderprogramrn 75/76 in den vereinigten 3. Programmen (WDR und die sogenannte Nordkette, damit sind alle Sender nördlich der Mainlinie gemeint). Der Titel dieser Sendereihe war "11 1/2 Musiksack", man konnte ihn 16 Tage täglich sehen. Im Zuge der Diskussion innerhalb des WDR zwischen der Jugendredaktion und den Programmverantwortlichen um ein regelmäßig ausgestrahltes Jugendprogramm hatte Peter Rüchel (Leiter der Redaktionsgruppe Jugend) und die Seinen dann Erfolg: Seit Anfang '76 werden folgende Sendungen regelmäßig ausgestrahlt: 1. Montag im Monat 'Pipeline', 2. Montag im Monat 'Stifte & Co.', 3. Montag 'Rockpalast' (so taufte man den 11 ½ Musiksack um), 4. Montag kein Etat, daher Termin für Wiederholungen und 5.Montag, wenn vorhanden, noch einmal 'Rockpalast'. Für diese Entscheidung war nicht zuletzt die "phänomenale Zuschauerpost" (Peter Rüchel) der 'Musiksack'/'Rockpalast'-Fans ausschlaggebend, eine Zuschauerpost, die zu 99% aus positiven bis euphorisch­schwärmenden Zuschriften besteht: "Endlich weiß ich, wofür ich Fernsehgebühren bezahle! ".

Natürlich gibt es auch kritische Meinungen. Haupttenor: die Atmosphäre der Studioproduktionen sei zu "lahmarschig", 30 Minuten Sendezeit sei zu wenig. Über etwas hölzerne und oftmals verklemmt anmutende Atmosphäre haben sich die 'Rockpalast'-Macher ebenfalls Gedanken gemacht. Sie sehen drei Gründe: aus feuertechnischen Sicherheitsgründen dürfen nur etwa 100 Leute einer Studioproduktion beiwohnen; der räumliche Abstand Publikum-Musiker ist wegen des Kameraaktionsraumes vor der Bühne zu groß- selten hat der Großteil der Zuschauer Interesse an der jeweils produzierten Band, vielmehr will man den Fernsehleuten auf die Finger schauen und Studioluft schnuppern. Dem will man dem­nächst weitgehend entgegenwirken, indem man öfter Live-Konzerte aufnimmt. Dem Kritikpunkt, 30 Minuten 'Rockpalast' sei zu wenig, wird ab dem Januar '78 Abhilfe geleistet, denn ab dann wird die Sendezeit des gesamten Jugendprogram­mes verdoppelt. Das heißt, der 'Rockpalast' erscheint alle vierzehn Tage auf dem Bildschirm. Der Sendeplan ab '78: jeden Donnerstag 19:15 Uhr Jugendprogramm bis 20:00 Uhr Jugendprogramm, jeden Sonntag 19:15 bis 20: 00 Uhr musikalische Jugendprogramme (dazu gehört auch der 'Rockpalast'), In Bezug auf die Programmgestaltung des sonntäglichen Teils diskutiert man zur Zeit über die Übernahme oder Eigenproduktion zusätzlicher Sendereihen. Ein Punkt ist, das Defizit im Fernsehen von bestimmten Musiksparten wie Jazz, Blues, Folk aufzu­füllen. Ein weiterer ist, Sendungen unter dem Stichwort "Musik im historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang" einzufügen. Gedacht wird da an die schon einmal gezeigte Reihe 'Sympathy for the devil', von der zehn weitere Folgen vorliegen und an eine neue Reihe von Horst Königstein, die die Geschichte des Rock'n' Roll zum Inhalt hat (26 Folgen sind geplant und die Exposes dafür vorgelegt, Ausführung hängt von der Finanzlage des NDR ab - und vielleicht auch von der politischen Entwicklung innerhalb des Senders) .

DIE "ROCKPALAST" FESTIVALNACHT

Was es zusätzlich ein- bis zweimal pro Jahr geben wird, haben viele vom Fernsehen bisher nicht verwöhnte Rockmusikanhänger am 23.7.77 schon zu sehen bekommen: das 'Rockpalast'-Festival. Ursprünglich wollte ich mich über die Entstehung und Ausführung dieser 5-Stunden Sendung gar nicht auslassen. Aber als ich im 'Riebe' Nr. 54 in der Rubrik "Meine Meinung", Klaus Böhlers reichlich stümmelhafte Essenz darüber las, habe ich mich zum Gegenteil entschlossen. Um das vorneweg klarzumachen: Mir geht es nicht darum, Publicity-Werbung für den 'Rockpalast' zu machen. Wenn man aber in ganz Deutschland dem verstorbenen 'Beat Club' nachtrauert (mit Recht!) und nach einer neuen Rockmusiksendung ruft (mit Recht!), die Programm-Macher als jugendfeindlich beschimpft, dann sollte man gerade solch höchst seltenes Vorhaben wie das 'Rockpalast'-Festival in den Medien der jugend-spezifischen Musik unterstützen. Und zwar mit Anerkennung oder konstruktiver Kritik. Einfach arrogant abzukanzeln ohne nach den Hintergründen zu fragen, das hat nichts mit dem von Klaus Böhler vielgelobten und für sein Blatt in Anspruch genommenen Journalismus zu tun!

Ich will zuerst einmal das Konzept dieses Festivals hier wiedergeben. Ausgangspunkt war die Idee, "sich satt zu sehen, satt zu hören, also volles Rohr Musik zu machen und nicht immer diese Häppchen" (Peter Rüchel).

Peter Rüchel Man wollte die Aufnahmen nicht im Studio machen, sondern ein öffentliches Konzert live übertragen. Man wollte selbst Veranstalter sein, um weitgehenst die eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Der minderen Qualität des Fernsehtons sollte durch parallele Stereoübertragung im Radio entgegengewirkt werden. Es sollte zu einem ungewöhnlichen Zeitpunkt sein (Festival!) - "wir wollten anfangen, wenn alle anderen dicht machen! " (Peter Rüchel) -, um Streitigkeiten innerhalb der Familien über die Programmwahl unmöglich zu machen. Und es sollte tags darauf kein Arbeitstag folgen.

"Herr Fachblatt" mokiert sich darüber, " ob man ein solches Spektakel denn wirklich unbedingt mitten in der Nacht übertragen muß, oder ob es keine bessere Alternative dafür gegeben hätte". Seine Alternative: "Wenn's im nächsten Jahr wieder rocken sollte, dann doch bitte Samstag- oder Sonntagnachmittag". Nun, ein paar graue Zellen hätte er schon mehr einschalten können, der Klaus Böhler! Eine 5-Stunden-Sendung wie das 'Rockpalast'-Festival in der Normal-Fernsehsendezeit hätte nie die Chance der Durchführung gehabt, denn die Minderheit der Rockmusikfans in Relation zu der gesamten Zuschauerzahl rechtfertigt einfach nicht so einen Aufwand. Solch einem schwachsinnigen Vorschlag hätte kein Programmdirektor zugestimmt. Nur 45 Minuten in diesem Sendekomplex zu bekommen, dürfte eine enorme Schwierigkeit sein.

Außerdem: Klaus Böhler waren die Bands zu "unattraktiv". Aber: die Attraktivität dieser Sendung beruhte in erster Linie darauf, daß überhaupt ein 5-Stunden-Jugendprogramm gesendet wurde! Klaus Böhler tut gerade so, als gäbe es so etwas alle 2 Monate, da sollen die Programm-Macher Bitte schön! - etwas besseres bringen für unsere Fernsehgebühren! (Im übrigen haben in dieser Nacht bis zu 5 Millionen zugeschaut!) Weiterhin übersieht Klaus Böhler völlig, daß dieses 'Rockpalast'-Festival immer noch ein 'Rockpalast' ist, und der hat ein bestimmtes Konzept, was die Auswahl der Gruppen betrifft (genaueres in Folge 3). Die Macher sind - mit Recht! darauf stolz, daß man ihr Programm nicht als spekulativ, d.h. auf den Publikumsgeschmack ausgerichtet (Disco, Hitparade etc.) an sieht. Ein Grund übrigens, warum man sich in den 3. Programmen so wohl fühlt . Es geht also nicht um möglichst hohe Einschaltquoten, sondern quasi darum, Fachliteratur für Interessenten zu liefern. Die paßt genauso wenig wie zum Beispiel das Telekolleg 'Physik' in die Hauptsendezeit und ist nicht als Familienunterhaltung gedacht nachdem Motto: Für Jeden etwas!.

Außerdem schreibt Klaus Böhler "Rockmusik ist laut, sehr laut sogar." Lieber "Herr Fachblatt", seit langem gibt es schon Kopfhörer; wer solche nicht besitzt - am Fernsehgerät ist ein Knopf, da steht "Lautstärke" (Volume) darüber oder darunter. Damit kann man sie regeln. Schlimm ist, daß Klaus Böhler neben technischem Verständnis auch das für Musik zu fehlen scheint. Er schreibt, er habe "Rory, Little Feat und Roger Mc Guinn oft genug (besser) gesehen .... z.B. Gallagher in seinem Film "Irish Tour '74" - Beurteilen kann er es zumindest bei 'Little Feat' und 'Roger McGuinn' allemal nicht, denn nach eigenem Bekunden ist er nach 30 Minuten Rory ins Bett gegangen!) Nun, liebe Freunde, wer den Rory kennt und seine Entwicklung von der ersten LP 'Taste - In the beginning' bis zur 'Calling Card' verfolgt hat (das habe ich mit der Gitarre in der Hand getan), der weiß, daß die 'lrish Tour' zu Rory's schlechtesten Sachen gehört, den Film empfand ich als das mieseste Gallagher-Produkt überhaupt!

Zum Glück schreibt "Herr Fachblatt" in seiner Meinungsrubrik noch: "Bleibt festzustellen, daß ich nicht kompetent bin, über das eigentliche Festival zu schreiben-. Recht so, Herr Böhler, Selbstkritik k a n n ein Anfang einer beginnenden positiven Phase sein! - -Zurück in die Welt der Kompetenten wie Du und ich. Die 'Rockpalast-Nacht hatte natürlich auch Schwächen, die es zu kritisieren gilt. Doch eingeschoben noch einige Facts: Das Festival war eine Eurovisionssendung, die live in Österreich, Dänemark, Norwegen, Schweden und Irland (nur 'Rory Gallagher') gesendet wurde. Das portugiesische und jugoslawische Fernsehen zeichnete auf und sendete eine Woche später fast ungekürzt. Die Einschaltquote in Deutschland war im Schnitt 3%.

Meine Kritik gilt drei Punkten. Die Ablauffolge 'Rory Gallagher', 'Little Feat' und 'Roger Mc Guinn' war ungünstig gewählt. Zumal Rory, der das erste Mal im irischen Fernsehen gezeigt wurde, sich vorgenommen hatte, - now or never! - die Konzertbesucher schon mit dem ersten Stück auf die Stühle zu bringen. Er schaffte es. Das Resultat war, daß die diffizilere und emotional nicht so direkt ansprechende Musik der 'Little Feat' lange Zeit vom Publikum nicht willig aufgenommen wurde. Es dauerte lange, bis sich alle Gefühlswallungen wieder gelegt hatten und man bereit war, aufmerksam hinzuhören. - Die beiden Moderatoren machten einen völlig überforderten Eindruck, als es galt, in Englisch zu interviewen. Da müßte jemand her, der etwas gewandter diese Sprache beherrscht. Und zuletzt: die Umbaupausen waren etwas zu lang geraten. Verständlich zwar, denn zu der Tontechnik der Bands kam noch dieTon- und Lichttechnik des Fernsehens hinzu. Doch etwas schneller würde ich mir den Umbau schön wünschen.

Alles in allem: Die 'Rockpalast'-Nacht war für mich der musikalische Leckerbissen der letzten Fernsehjahre. Die wenigen Schwächen und Ungereimheiten dieser Erstsendung sind vergeben und vergessen in der Hoffnung, nächstens ein noch besseres 'Rockpalast'-Festival erleben zu dürfen!

Uli Tobinsky

Ich bedanke mich für die freundliche Hilfe von Peter Rüchel!

(wird fortgesetzt)


© Uli Tobisnky: Idee und Text - Mike Tobinsky: Fotos

Musiker November 1977

Mit freundlicher Genehmigung von Uli Tobisnky


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