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Rockpalast

Das Ende einer Dekade

Montagnachmittag 16 Uhr, Düsseldorf - Flughafen, noch ziemlich genau 127 Stunden bis zum Beginn der 5. ARD Rocknacht. Die Maschine aus London hat Verspätung. Die Mitch Ryder Band kommt per Billig ticket, weil man ans Geld denken muß. Außerdem sind sie das erste Mal in Deutschland und wollen sich umsehen. Warten, aufwärmen und gut vorbereiten ist jetzt Angesagt.

Von Thomas Buttler

Die Proben sind erst Mittwoch. Rätselraten in der Warterunde, wieso Peter Rüchel und Christian Wagner die Mitch Ryder-Band verpflichtet haben. Von allen Rockpalast-Beteiligten hat sie eigentlich nur Uwe Tessnow (der Mann von Line Records) live in Detroit gesehen. Die Runde ist optimistisch. Jörg Gülden (SOUNDS 8/79) hat sich bestimmt nicht geirrt.

5.Rocknacht

Eine Fernsehsendung, denn das ist der Rockpalast in erster Linie, will bei diesen Ausmaßen, gut vorbereitet sein. Die Aufbauarbeiten beginnen schon knapp eine Woche vor Sendebeginn. Den Gruppen und der Regie stehen je bis zu 8 Stunden Probezeit zur Verfügung. Der Sound und das Licht müssen stimmen. Die Techniker der englisch-amerikanischen Equiment-Firma werden von den Obertechnikern des Kölner Senders, wegen der rechtlichen Bestimmungen überwacht. Kopfschütteln und wenig Verständnis auf Seiten der Engländer. "Wir sind doch Vollprofis"... Die Riesenmaschine Fernsehen setzt sich nur schwerfällig in Bewegung.

Mitch Ryder und seine Jungs machen große Augen. Deutschland im Herbst ist diesmal sommerlich. "lst's hier immer so warm?" "Waaas!!! Ihr zahlt Steuern für eure Hunde?? Incredible!" Deutsches Bier gibts literweise, wo immer sie wollen, und schmeckt.

Die Proben am Mittwoch verlaufen nervös. Das Licht muß nachgeregelt werden, die Monitore sind faul. Die Probe ist zerhackstückt. Trotzdem - der Produzent ist zufrieden und wir auch. Die Band spielt verdammt gut. Donnerstag fliegt Nils Lofgren aus Amsterdam ein. Für abends sind die Proben angesetzt. Lofgren, die Sound- und Lichtmixer und Regisseur Wagner haben wenig Probleme. Alles verläuft relativ glatt. Es scheint so... Die Mitch Ryder Leute haben frei und sind zum Gucken in die Halle gekommen. Richard Shine, der Gitarrist macht Fotos von Lofgrens Band. Als er einen neuen Film auspackt, legt er den Beipackzettel auf die Fernsehkameralaufbahn. Sein Verhängnis: Der Produktionsleiter erwischt ihn und schreit los. Richard wird kleiner als er schon ist und fällt fast auf die Knie. Panik zeichnet sich ab. Ich wette, nicht mal sein Alter hat ihn je so angeschrien. Der Grund, wie ich später erfahre, sind die 200.000 Mark teuren Kamerastative, denen das dünne Papierchen schaden könnte. Ironie des Schicksals: Zehn Minuten nach der Schreierei ist die Kamerabahn übersät mit Zigarettenkippen und Plastiktassen stehen rum. Man stelle sich vor, ein Fritz Rau würde so mit seinen Künstlern umspringen. Daß er dann nicht der Fritz Rau wär, steht außer Frage. Aber wir sind ja hier beim Fernsehen.

Lofgren und Regisseur Wagner nutzen die Probenzeit voll aus. Um 24 Uhr ist Dienstschluß und von Nils ward nichts mehr gesehen. Er turne und mache Waldläufe, wurde vermeldet. Im übrigen wolle er seine Ruhe haben. It's only Rock'n'Roll, ja, ja...

Noch 36 Stunden. Southside und sein Orchester reisen aus London an. Sie sind kaputt. Eine Nacht vorher haben sie noch das Londoner Venue Publikum zum Schwitzen gebracht. Und in sechs Stunden sind schon wieder Proben angesetzt. Wir haben Zweifel, ob die Kraft reicht. Die Stimmung wird nervös. Der Truck mit dem Equiment aus London ist um 16 Uhr 30 noch immer nicht in Essen. Im Verkehrshinweis wird ein 10 kilometer Stau in Richtung Essen gemeldet. Das kann eine lange Nacht bedeuten. Aber um 19 Uhr stehen die Jukes auf der Bühne. Sie sind Profis und haben am Abend vorher noch gespielt "was soll das jetzt noch alles". Aber die Probe muß sein, die Kameraleute müssen sich einschiessen. Southside singt nur halbe Kraft die Band spielt ihren Set locker vom Hocker. "Alles Scheiße", sagt mir Southside hinterher." Ich kann einfach nicht vor ner leeren Halle singen..."

Lofgren - Southside - Ryder

Der Manager von Lofgren setzt sich am Abend zu Mitch Ryder an den Tisch. Er hat Ryder nie gesehen, weiß aber, daß er irgendwie mit dazu gehört. Sie kommen ins Gespräch und der Manager gesteht Mitch Ryder, daß dieser Mitch Ryder ja eigentlich nur 'n alter Sack sei und bestimmt sowieso nur diese alten Standards spielen wird. Aber er ist dann sehr schnell aufgestanden und hat sich nicht mehr blicken lassen. Da der Abend noch nicht zu Ende ist und das Treiben der Bar sehr turbulent, treffen auch Southside und Mitch Ryder aufeinander. Sie er kennen sich nicht und kommen ins Gespräch. "Hör mal", sagt Mitch zu Johnny, "weeer ist denn eigentlich dieser Southside überhaupt???" Wie das Gespräch ausging, weiß ich nicht, jedenfalls saßen die beiden am nächsten Tag friedlich zusammen im Bus (siehe oben). It's only Rock'n' Roll oder ... ?

Diese Rocknacht war die letzte dieses Jahrzehnts, wie Alan Bangs ganz richtig bemerkte, und wie wirds 1980? Wir werden sehen. Aber eins ist klar: So sollte es nicht weitergehen. Denn zum einen ist der Rockpalast widersprüchlich an sich und stellt sich damit selbst ein Bein. Rockmusik live im deutschen Fernsehen ist ein Unikum und deshalb unterstützenswert aber Fernsehen, speziell das deutsche ist so hausbacken und bürgerlich, daß es nichts, aber auch gar nichts mit der Spannung und den Emotionen der Rockmusik gemein haben kann. Ein Mitch Ryder, der so mit einem Fernsehinterview umgegangen ist, wie er es getan hat, tut eigentlich genau das Einzige, was ihm als überzeugter, ehrlicher Rock'n'Roller im öffentlichrechtlichen Fernsehen übrig blieb. Er setzte sich auf seine Art gegen den Hemmschuh "Fernsehen" zur Wehr. Irgendwelche Interviewregeln darf es für ihn als Detroiter Industrie-Rocker nicht geben. Und genau hier prallen Fernsehanstalt und Rock'n' Roll aufeinander, hier liegt der Widerspruch. Daß Nils Lofgren und Southside sich

so brav verhielten, kann eigentlich nur traurig stimmen. Wo blieb hier die Spannung, die Kraft, die der Rock'n' Roll aus seinem Widerspruch zum bürgerlichen Wohlverhalten nimmt? Vor allem Nils Lofgren hat als Rock'n' Roller enttäuscht. Seine sauber gespielte Unterhaltungsmusik hatte wenig mit Rock'n'Roll zu tun.

Zum zweiten: Die sechziger Jahre sind nun wirklich vorbei. Die siebziger in der letzten Runde. Die Musik der achtziger wird eine andere sein, wie man allerorts hören kann, hoffentlich auch in Köln. Den Widerspruch: TV und Rock wird es weiter geben. Aber es bleibt zu hoffen, daß die erste Rocknacht im April 1980 zumindest beweisen kann, daß es eine Rockmusik der achtziger Jahre gibt.


Thomas Buttler

Sounds November 11/1979

Fotos: Manfred Becker, Rosi Thielen

Leider konnte ich Thomas Buttler, da es Sound nicht mehr gibt, nicht erreichen wegen der Rechte, ich hoffe er hat nichts gegen die Veröffentlichung im Rockpalast Archiv!


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