Rockpalast Archiv

 Sounds

Rockpalast-Nacht     aus Sounds 09/1977

Von guter Musik und Modera-Torheiten

 

Eben noch sang sich Roger McGuinn in schwindelnde Höhen, "Eight Miles High", jetzt schimmert das Eurovisionszeichen auf dem Fernseh und die dazugehörige Fanfare ertönt. Diese Klangkombination versetzt Peter Rüchel, TV-Macher beim WDR, in Begeisterung. Es ist Sonntag, 5 Uhr morgens, 24. Juli 1977, und endlich kann man abschalten.

Von Teja Schwaner und Jörg Gülden

Rory Gallagher Immerhin haben Peter Rüchel, Redaktion, und Christian Wagner, Regie, anstrengende fünfeinhalb Stunden hinter sich und mit ihnen rund 20 Millionen Fernsehzuschauer, fünftausend Leute in der Essener Gruga-Halle, zweihundert Crew-Mitglieder, drei Bands und zwei Moderatoren. Was es noch nie gab, wonach sich aber viele gesehnt haben, wurde endlich wahr: Das deutsche Fernsehen brachte Rock satt.

Die Rory Gallagher Band, Little Feat und Roger McGuinns Thunderbird waren aufgeboten, die Jugend Deutschlands und neun weiterer europäischer Länder zu unterhalten, der Eltern-Generation hatte man per Presse vorweg den Rat erteilt, "doch den längst fälligen Verwandtenbesuch abzustatten" (Zitat Albrecht Metzger, RockpalastModerator).

Die Legende geht, die Idee zu dieser Mammut-Show in den Flimmerkisten sei nächtens geboren worden, als Rüchel und Wagner ein leicht bierseliges Brainstorming veranstalteten, wie man am besten lange dunkle Sendelücken überbrücken könne, die zum Beispiel zwischen "Noch ein letzter Blick auf das Programm von morgen" und dem Beginn des "Thrilla in Manila"-Muhammad AliFights liegen. "Warum nicht Rockmusik live übertragen?"

Und wer nun glaubt, die deutschen Sendeanstalten seien weder flexibel noch Neuem aufgeschlossen, muß sich eines Besseren belehren lassen. Die da auf den Ebenen über Rüchel und Wagner zu bestimmen haben, zeigten sich angetan und gaben grünes Licht, ohne daß man erst warten mußte, bis Ali mal wieder in einem Entwicklungsland mit gewaltiger Zeitverschiebung um Millionen boxte.

Little Feat - Paul Barrer, Lowell George  

Für das Doppel-Ereignis Live-Spektakel (ungefähr 200 000 DM Kosten) in der Gruga-Halle und Medien-Show wurden nach mancherlei Hin und Her (sogar die Beach Boys waren im Gespräch!) drei Rockgruppen gewonnen, die zwar keinen Superstar-Status besitzen, aber ganz sicher genügend Zugkraft versprachen. Andererseits hatte das Fernseh-Ereignis an sich (The Medium is the Message!) genügend Attraktivität um auch jene vor den häuslichen Bildschirm zu locken, die weder Gallagher-, Feat- noch McGuinn-Fans sind.

So wurden denn allerorten Parties veranstaltet, bei denen die Plattenspieler Ruhe hatten, denn die Musik lieferte das Fernsehen zusammen mit dem Rundfunk, der in vielen Sendebereichen in Live-Stereo dabei war: endlich konnte man Musik aus dem Fernsehen mit einem Sound (aus dem Radio) genießen, der um einiges besser war als das, was die mickrigen 8 -Watt-Lautsprecher der Fernsehapparate normalerweise hergeben.

Da wir die ganze Chose direkt erleben wollten, sind wir also nach Essen gereist und können daher das musikalische Geschehen nur aus der Sicht von vor und hinter der Bühne beurteilen. Doch alle Bekannten, die die Rocknacht aus der TV-Perspektive verfolgt hatten, bestätigten uns hinterher, daß die Rockpalastnacht von der Musik her (in Bild und Ton) durchweg exzellent gewesen sei. Als Manko erwies sich jedoch die Reihenfolge, in der die Bands auf die Bühne geschickt wurden. Obwohl man von der Schriftgröße auf den Plakaten her den Eindruck haben mußte, Little Feat seien die Headliner, erwies es sich für sie als recht unglücklich, daß sie nach Gallaghers 4/4-TaktOrgie spielen mußten. Nichts gegen Rory er spielte bis zur Erschöpfung und gab den Leuten, was die Leute wollten. Überdies mag die Konstellation "Gallagher Ruhrgebiet" fast der "Gallagher Irland" entsprechen. (Im per Eurovision dazugeschalteten Irland sollen mehr Iren zur nachtschlafenen Zeit vorm Fernsehapparat gesessen haben als je zuvor!)

Gallagher, McGuinn, George Bier und Rock für anderthalb Stunden war es die totale Sause. Die Hallenbesucher tanzten sich das Dosenbier aus den schwitzenden Leibern, röhrten und gröhlten nach Zugaben, die sie auch bekamen... aber dann waren sie matt.

Diverse organisatorische Pannen auf und hinter der Bühne (ein Little Feat-Interview artete in eine Art FreakShow aus, ein Aufnahmeleiter des WDR nahm offensichtlich die Feat-Roadies "Only ten more minutes" zu wörtlich) verhinderten zudem ein wohl-getimtes Feat-Auftreten. Als sich Lowell George und seine fünf Mit-Füße auf der Bühne versammelt hatten und die ersten Töne von "Skin It Back" erklangen, war die Erwartungsbereitschaft des Publikums - soweit überhaupt noch vorhanden - in Mißmut und leichte Apathie umgeschlagen. Um gerecht zu sein, muß man allerdings ein Eckchen des "schwarzen Peters" auch der Band zuschanzen, die ihren ohnehin schon recht vertrackten Stil bei einigen Nummern in nicht endenwollende Solo-Improvisationen (z.B. "Dixie Chicken") zerbröseln ließ. Doch Hand aufs Herz: schlecht kann diese Gruppe nie sein, und wenn sie in dieser Nacht das richtige Gleis erwischten, sprangen auch einige Leutchen aus der Gruga-Halle mit auf den Feat Zug. (Mehr über Little Feat in Essen, in New York, in New Jersey und überhaupt im nächsten Heft!!!)

Was den Auftritt von Roger McGuinns Thunderbird angelangt, so schieden sich hier unsere Geister. Fand der eine, daß McGuinn dank seines Gitarristen Rick Vito nun endlich zum "straighten" Rock gefunden habe und daß besonders die alten Byrds Nummern dadurch den nötigen Dampf bekommen hätten, stieß gerade das dem anderen sauer auf. Der sehnte sich nun wieder in die Zeiten zrurück, da Clarence White das adäquate Gegengewicht zu McGuinn bildete und dessen drogengetränkten Kosmos Ausflügen simple, aber gefühlvolle Country-Klänge gegenüberstellte.

Moderatoren auf dem Dach der Gruga-Halle  

Aber last not least ist das Ansichtssache, und so darf doch einstimmig gesagt werden, daß der Set der McGuinnBand sauber und perfekt war und auf dem Höhepunkt, so gegen 4.30 Uhr, sogar den letzten Schnarchhahn im Saal aus seinen Träumen riß.

Bei aller Freude darüber, daß sich gerade unser Teutonisches Fernsehen als Wegbereiter in Sachen Rock erwiesen hat, müssen wir doch - was die beiden Moderatoren Albrecht Metzger und Hendrik Bussiek anbelangt - mehr als herbe Kritik loswerden. Das, was die Zwei da teilweise an hanebüchenem Unsinn verzapften, in groteskem Pidgin Englisch radebrechten, und wie sie überhaupt durch die ganze schöne Sendung schwammen und tapperten, würde bei allem Wohlwollen noch nicht mal für die Moderation eines Sextaner-Klassenfestes reichen!

Zugegeben, es gibt hierzulande keine Sendungen, in denen potentielle Rock-Moderatoren zu Profis werden können (vom Rockpalast mal abgesehen), aber ein Hans Joachim Friedrichs vom ZDF Sportstudio z.B. hätte diese Sendung bestimmt auch ohne die leiseste Ahnung von Rock-Musik elegant über die Bühne gekriegt.

Als strebten sie nach einer perfekten Heinrich "Equal goes it loose" Lübke-Imitation, bastelten sie Sätze wie, "Is zat difficölt, frag ich mal ganz dumm" (0-.-Ton Bussiek), übersetzten sie ausführliche Antworten ihrer Interviewpartner vorwiegend nach dem Motto "es darf gedichtet werden" und überfielen zum Beispiel den schweißnassen und ausgepumpten Rory Gallagher mit der rhetorischen Frage, wie ihm das Publikum gefallen habe, sowie der Aufforderung, doch mal eben ein paar Worte an Irland zu richten. Sie rissen sich ständig das einzig vorhandene Mikrofon aus der Hand, schienen Roger McGuinn durchaus nicht journalistisch auf ihre Aufgabe vorbereitet und begingen immer wieder den Fehler, sich selbst zu überschätzen ("Ich werde hier permanent wegen meiner Übersetzungen gelobt" - 0.Ton Bussiek) sowie ihr Millionenpublikum zu unterschätzen.

Sollte es - hoffentlich! in einem halben Jahr zu einer Neuauflage des Rockpalast-Festivals kommen, sei den beiden geraten, bis dahin eifrig die Berlitz-School-Bank zu drücken und auch bei Dieter Thomas Heck mal des öfteren reinzuschauen, um etwas von dessen Souveränität mitzubekommen - oder aber möglichst bald das Moderatoren-Handtuch zu werfen.

Ansonsten für Peter Rüchel und Christian Wagner den "Goldenen Bildschirm", die "Goldene Kamera" und von uns einen "Rockin' Chair" in Platin mit der Original SOUNDS-Nackenstütze und zum Rückgratstärken einen Ladestock mit Brillanten und Schwertern.



 

Von Teja Schwaner und Jörg Gülden © 1977

Sounds September 1977

Sounds Verlag Hamburg

Fotos Manfred Becker

Da es Sounds nicht mehr gibt und ich Teja Schwaner und Jörg Gülden wegen der Rechte nicht erreichen konnte, hoffe ich das Ihr nichts gegen die Veröffentlichung im Rockpalast Archiv habt!


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