Das Liebgewonnene verändert sich und der einst bevorzugte Liebhaber steht nun im
Wettbewerb um Gunst und Anerkennung. Einst, als der Rockpalast allenfalls 300.000,
600.000 oder 900.000 Rockfreaks vor die Röhre zog, gehörte er ihnen ganz allein. Sie
konnten sich damit brüsten, die bevorzugten Liebhaber, daß sie Rockpalast sahen, die
oftmals weithin unbekannten Künstler kannten, daß sie ein Programm und eine Musik hatten,
die sie für sich beanspruchten, zum elitären Sakrileg machten. Die heilige Kuh Rockpalast
gehörte ihnen und sonst niemanden und so wären sie wohl noch jahrelang im eigenen Kreise
glücklich geblieben, wie ein Geheimbund vom besseren Rock 'n' Roll. Doch die 'Hohen
Priester' erweisen sich des Amtes unwürdig. Sie erdreisten sich dem Ruf des Volkes zu
folgen, verlangten bessere Sendezeiten und bekamen sie, und schließlich noch gelangen
ihnen das erste Rockhappening der langen Nacht. Plötzlich waren es Millionen Liebhaber
und die Fans der ersten Stunde, die Rockfreaks, konnten sich gelassen brüsten, 'daß sie
es ja schon immer gewußt hatten!'
Doch die Kreise des Rockpalastes, jetzt fast ausschließlich noch an der Nacht
gemessen, zogen weitere Kreise und immer mehr Volk fand den Rock zwischen Abend und
Morgen gut, fantastisch und super. Die Freaks wandten sich mit Grausen vor soviel
Euphorie und bedenkenlosein Gutfinden, und plötzlich fanden sie Haare in der Suppe die
sie bisher mit Verzückung gelöffelt hatten. Plötzlich war Albrecht nicht mehr recht,
wurden die Künstler falsch ausgewählt, zuwenig bekannt - einst Kriterium des Aufwertens
wurde nun Merkmal für die Abwertung.
Der Sound wurde immer schlechter hieß es, und deutsche Gruppen kämen sowieso zu kurz.
Doch es tat nicht Not um Verlorenes zu weinen, der Rockpalast hatte
sein Ziel, sein Format nicht geändert und die vergossenen Tränen galten allemal der
gestörten eigenen Eitelkeit. Die wirklichen Probleme der Sendung wurden dabei übersehen,
in den Hintergrund gedrängt. Daß die Anforderungen, die an ein erfolgreiches Programm
gestellt werden, immer unerbittlicher den noch größeren Erfolg verlangen ohne dabei auf
Inhalte Rücksicht zu nehmen, nehmen zu wollen, wurde anscheinend niemandem so richtig
klar. So wurde das möglicherweise beste Rocknacht-Ereignis gleichzeitig zum Mahnmal in
einer Sackgasse, die möglicherweise schon zu weit beschritten wurde. Die Inhalte, die
einst den Rockpalast so wertvoll machten, sie stimmten nicht mehr. Einst war es dem
Rockpalast auf's Panier geschrieben, Zeuge einer Kulturbewegung zu sein, ein reales,
unverfälschtes und ehrliches Bild einer musikalisch-archetypischen Bewegung zu zeichnen.
Es gilt hervorzuheben, daß es wohl weltweit kein Programm gibt, dem es so ausgezeichnet
gelang, diese schwer faßbaren und kaum beschreibbaren Inhalte zu dokumentieren und
verständlich zu machen. Aber das Machen ist eine Sache, die Zeugen auszuwählen eine
andere, und nur hier muß die Kritik ansetzen, müssen die herben Worte an einen Freund die
Berechtigung finden. Auch unter dem Verständnis von Sachzwängen unterschiedlichster Art,
die ein noch so gut gewolltes Programm beeinträchtigen können, muß darüber hinweg ins
Gericht gegangen werden. Die Supernacht vom 19. April '80 bleibt trotz allem eine
Supernacht der Musik, eine Demonstration des Rock 'n' Roll, auch und gerade wenn man die
Frage nach der Auswechselbarkeit der Interpreten stellt, denn daran mißt sich der
inhaltliche Wert. Es ist wohl nicht vermessen wenn man behauptet, daß anstelle der ZZ Top
auch Status Quo hätte spielen können, daß die Blues-Band unzählige Male in den
Blues-Städten zwischen London und LA ihre Zwillingsbrüder findet, und daß es Show- und
Rockmacher a la Hunter und Ronson im Dutzend gibt, nur unterschiedlich im Einsatz ihrer
Mittel. Allein die 'Armatrading' brachte Wahrheit ins Programm, verdeutlichte eine neue
Einheit von Wort und Musik im Rockgeschehen. Um es deutlich zu machen, hier soll nicht
von einer Veränderung des Rockpalastes das Wort geredet werden, hier soll allenfalls zur
Rückbesinnung gemahnt werden, - oder aber -und das scheint zeitgemäßer und ehrlich - zu
einer Neuformulierung der Werte, der Inhalte. Wenn Albrecht Metzger sagt: Dschörmen
Television praudly präsents.... dann hat gerade sein schönster Akzent die beste
Berechtigung.
Wir sind doch Deutsche, wir schicken ein fantastisches Programm von Deutschland aus in
alle Welt und müssen doch der Welt nicht beweisen, daß wir akzentlos und fehlerlos
'auswärtig' sprechen. In Deutschland für Deutschland haben wir ein Programm gehabt, daß
so ehrlich und perfekt Identitätsgleich mit dem Inhalt war, wie wohl selten ein Programm
zuvor. Nun, wo das Programm weit über Deutschlands Grenzen hinausgeht, ging die Identität
zum größten Teil verloren. Brot und Zirkusspiele für das Volk - Sound und Image für das
Volk, und vergessen wird dabei, daß es die Ehrlichkeit eines Gespräches unter Freunden
war, die das Programm liebenswert machte. Wenn es nun aber an den Zeugen fehlt um alte
Zeugnisse zu beleben, dann ist es wohl möglich, neue Zeugnisse mit neuen Zeugen
beweiskräftig zu machen, und neue Zeugnisse gibt es genug. Der Rock hat sich längst
domestizieren lassen und dabei sein altes Image in der Erbfolge abgelegt. Jazz aus Polen,
Rock aus Deutschland, Punk aus Holland, Liedermacher aus Österreich, Folk aus Frankreich
- längst gibt es ehrliche Zeugen für ein Programm mit neu formulierten Inhalten.
Vielleicht sollte darüber nachgedacht werden bevor wieder auswechselbare Zeugen einem
fadenscheinig gewordenen Kleid Stütze geben sollen.
Autor keine Angabe - Chefredakteur Merlin W.Frank
Spotlight - Zeitschrift für die Musikszene
Nr. 31 Juni 1980
Fotos: www.BrunoKassel.de (nur Farbfoto der Blues-Band)
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